Analytische Gleitlagerroutinen

Gleitlagertheorie

Die Eigenschaften und das Verhalten eines Gleitlagers werden wesentlich durch die Fluid-Struktur-Interaktionen bestimmt. Um diese Wechselwirkungen richtig zu erfassen, muss man die von Drehzahl und Wellenbewegung abhängigen Ölfilmkräfte kennen. Solche Kraft-Bewegungsgesetze behandelt die Gleitlagertheorie. Dabei wird mit Hilfe der Reynolds-Differentialgleichung für das hydrodynamische System der vom Ort und der Zeit abhängige Druck zu vorgegebener Zapfenauslenkung bzw. -geschwindigkeit bestimmt. Die Integration des Druckes führt schließlich zu den resultierenden Kräften und Momenten.

Gleitlagerroutine für MKS-Systeme

Für mechanische Systeme die nur kleine Bewegungen um eine quasi-statische Ruhelage zeigen, darf die lineare Gleitlagertheorie angewendet werden. Dies ist z.B. bei schweren Turbinen der Fall, bei denen die Welle durch ihr hohes Eigengewicht in die quasi-statische Ruhelage gedrückt wird. Die Linearisierung um diesen Betriebspunkt ist in diesem Fall zulässig und die lineare Theorie anwendbar.

Linearisierung um stationäre Betriebspunkte

Bei allen Systemen, bei denen die nichtlinearen Ölfilmkräfte eine Rolle spielen, versagt die lineare Theorie und es müssen die exakten Kraft-Bewegungs-Beziehungen berechnet werden. Dies leisten sogenannte Gleitlager-Berechnungsroutinen. Das sind streng genommen Kraftelemente innerhalb eines MKS-Systems, die aus der Relativkinematik von Welle und Lagerschale die resultierenden Kräfte des Ölfilms berechnen.

Gleitlagerroutine für MKS-Systeme

Die Motivation für die Entwicklung eigener Gleitlagerroutinen ist in der rotordynamischen Untersuchung von schnelllaufenden Rotoren begründet. Solche Systeme zeigen ein instabiles Verhalten bei höheren Drehzahlen. Um solche Instabilitäten numerisch zuverlässig zu erfassen, sind analytische Berechnungsroutinen sinnvoll, die frei von einer numerischer Diskretisierung sind und damit weniger anfällig für numerische Artefakte bzw. Rundungsfehler.

Kinematik

Ausgangspunkt für die Berechnung der Lagerkräfte ist die Relativkinematik des Schale-Wellen-Systems. Dabei werden die relative Lage, Geschwindigkeit und die Spaltfunktion der Welle in Bezug zu einem schalenfesten Koordinatensystem ermittelt.

Relativkinematik des ebenen Gleitlagers

 

Es ergibt sich somit ein funktionaler Zusammenhang zwischen Lage bzw. Geschwindigkeit der Welle und der Exzentrizität bzw. Winkellage und deren zeitlichen Ableitungen.

Reynolds-Gleichung

Die mathematische Grundlage zur Beschreibung der Hydrodynamik bildet die Instationäre Reynolds-Gleichung.

Die Lösung der partiellen Differentialgleichung liefert den Druckverlauf innerhalb des Schmierspaltes bei vorgegebener Kinematik und Randbedingungen. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwischen analytischen und numerischen Lösungsmethoden.

Im Folgendem wird nur die analytische Lösung nach der Kurzlagertheorie betrachtet. Dazu wird zunächst der Druckgradient in Umfangsrichtung im Verhältnis zur axialen Richtung vernachlässigt, eine Vereinfachung die für kurze Lager durchaus zulässig ist.

Die Lösung der Differentialgleichung führt auf einen periodischen bzw. symmetrischen Druckverlauf, der sowohl positive als auch negative Anteile besitzt.

Symmetrischer Druckverlauf

Die physikalisch sinnvollen Integrationsgrenzen der Lagerkräfte erstrecken sich in Umfangsrichtung dementsprechend nur über den Bereich mit positivem Druck und müssen gesondert berechnet werden. Kavitationseffekte werden hier vernachlässigt.

Bereich mit positivem Druck

Lagerkräfte

Mit Kenntnis der Druckverteilung ist nun die Berechnung der Lagerkräfte durch Integration möglich.

Druckverlauf und resultierende Kraft

Die Flächenintegrale lassen sich bei Vernachlässigung quadratischer Terme in axialer Richtung problemlos analytisch Integrieren. Die analytische Integration in Umfangsrichtung ist jedoch wesentlich komplexer und ist das entscheidende Merkmal dieser Methode. Im Gegensatz zu an dieser Stelle üblichen räumlichen Diskretisierung und numerischer Integration, gelingt eine analytische Lösung in symbolischer Form unter Beachtung der variablen Integrationsgrenzen.

Abhängigkeit der Integrationsgrenzen bzw. Druckverlauf von Lage und Geschwindigkeit

Die exakte Bestimmung dieser Integrationsgrenzen findet sogar in der einschlägigen Literatur wenig Beachtung oder werden fehlerhaft angenommen. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich jedoch ein funktionaler Zusammenhang zwischen den Integrationsgrenzen und der relativen Position bzw. Geschwindigkeit der Welle, die sich in geschlossener Form angeben lässt. Auch dieser Punkt ist ein wesentliches Merkmal der vorliegenden Berechnungsroutine.

Im unteren Bild ist für einen bestimmten Betriebszustand (Drehzahl ω, Lage R, Geschwindigkeit V) die Spaltfunktion und der normierte Druck, sowie der Verlauf der analytisch berechneten Integrale über dem Lagerumfang dargestellt.

Analytische Bestimmung der Integrationsgrenzen

Der funktionale Zusammenhang zwischen Relativbewegung der Welle und der erzeugten Lagerkraft bzw. Moment ist somit eindeutig bestimmt und frei von einer räumlichen Diskretisierung bzw. numerischer Integration und dementsprechend frei von numerischen Artefakten.

Die Lagerkraft und Moment kann nun als typisches Kraftelement in Form einer Funktion bzw. Subroutine in das Mehrkörpersystem integriert werden.

Gleitlagerroutine als Kraftelement innerhalb eines MKS-Systems

Anwendungsgebiete

Die wesentlichen Merkmale der hier dargestellten Berechnungsmethodik sind die vollständig analytische Beschreibung bzw. der ebene Charakter der Modellierung. Während die erste Eigenschaft zu numerisch akkuraten und sehr effizienten Simulationsmodellen führt, stellt das zweite Merkmal eine gewisse Einschränkung dar. Der Einsatz dieser Methode ist aus mechanischer Sicht auf ebene Probleme beschränkt. Grundsätzlich lässt sich diese Art der Modellierung in Systemen einsetzen, in denen eine Verkippung der Welle relativ zur Lagerschale vernachlässigbar ist. Auch Kavitationseffekte, Gleitlager mit Bohrungen, Nuten oder von der zylindrischen Geometrie abweichender Form können hiermit nicht untersucht werden.

Der Fokus der Methode richtet sich ausschließlich auf die numerische Effizienz und Stabilität. Sie ist frei von numerischen Artefakten und lässt somit auch die Untersuchung von Systemen zu, die sich durch ihr instabiles Verhalten auszeichnen.

Ein typisches Anwendungsgebiet ist die Simulation von schnelllaufenden Rotoren, wie z.B. Turbolader. Die wesentliche Problematik in diesem Zusammenhang, sind die unvermeidbaren Instabilitätserscheinungen der Gleitlager durch ölfilminduzierte, selbsterregte Schwingungen.

Simulation von Turbolader

Ein weiteres Anwendungsgebiet sind z.B. ebene Getriebestufen oder Rädertriebe. In solchen Systemen führt eine Zapfenverlagerung der einzelnen Zahnräder zur Veränderung des Flankenspiels und hat somit einen wesentlichen Einfluss auf die Zahnradkräfte. Gerade bei stoßartiger Belastung spielt auch die Lagerdämpfung in Zusammenhang mit akustischen Analysen eine wichtige Rolle. Im Hinblick auf die korrekte Abbildung von Lagersteifigkeit und -dämpfung leistet die hier vorgestellte Berechnungsmethode einen wesentlichen Beitrag.

Simulation von gleitgelagerten Zahnradstufen

Die vorliegende Methodik findet auch Anwendung in technischen Systemen, bei denen die Drehzahl der Welle relativ zur Lagerschale sehr niedrig ist oder sogar verschwindet. In diesem Zusammenhang sind an dieser Stelle die Rotoren mit Quetschfilmdämpfern zu nennen. Die Dämpfungseigenschaft wird in diesem Fall ausschließlich durch die Verdrängung des Öls erreicht. Die Druckverläufe in einem Quetschfilmdämpfer einer nicht rotierenden Welle zeigt das folgende Beispiel.

Lage, Geschwindigkeit und Druckverlauf eines Quetschfilmdämpfers

Eine weitere Anwendung der hier vorgestellten Methode sind z.B. Ventiltriebe. Diese Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass es ab einer gewissen Drehzahl der Nockenwelle zum Abheben der Rolle vom Nockenprofil kommt. Diese kritische Drehzahl wird nicht nur von der Masse, Trägheit und Geometrie der Bauteile bestimmt, sondern auch von der Lagerreibung des Kipphebels. Aus diesem Grund ist auch hier die korrekte Bestimmung der Dämpfung und Reibung in der Kipphebellagerung entscheidend für ein aussagekräftiges Berechnungsmodell.

Ventiltrieb mit gleitgelagertem Kipphebel

Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag soll einen Überblick über die Konzepte und Methoden geben, die bei der Simulation von gleitgelagerten Systemen eine zentrale Rolle spielen. Während die Modellierung des mechanischen Teilsystems überschaubar ist, erfordert die Berechnung der Hydrodynamik besondere Aufmerksamkeit. Der Fokus richtet sich dabei auf numerische Effizienz und Stabilität. Durch gewisse Vereinfachungen und durch die gezielte Vernachlässigung bestimmter Eigenschaften, gelingt eine voll analytische Beschreibung der Hydrodynamik. Diese ist frei von einer räumlichen Diskretisierung und numerischer Integration. Damit lassen sich die sonst unvermeidbaren numerischen Artefakte vermeiden und erreicht gleichzeitig eine hohe Effizienz. Der analytische Charakter der Modellierung erleichtert zusätzlich die Umsetzung von Berechnungsroutinen und die Implementierung in die gängigen Simulationsumgebungen.